Ein Beitrag von Christian Gugl
Die enorme Ausdehnung des Römischen Reiches von Britannien und Gallien im Westen bis nach Ägypten und Syrien im Osten begünstigte die Entwicklung unterschiedlicher Tracht- und Bekleidungsformen. Regionalspezifische Besonderheiten lassen sich insbesondere bei der Bekleidung von Frauen differenzieren. Diese Regionaltrachten ermöglichten beispielsweise auf den ersten Blick eine Unterscheidung zwischen einer Dame aus dem römischen Gallien oder aus dem syrisch-palmyrenischen Raum. Auch in den Provinzen an der mittleren Donau entwickelten sich im 1. und 2. Jahrhundert n. Chr. regionalspezifische Besonderheiten der weiblichen Bekleidung, die die archäologische Forschung unter dem Begriff der „Norisch-pannonischen Tracht“ zusammenfasst.
Charakteristisch dafür sind verschiedene Kopfbedeckungen, ein Übergewand, das an den Schultern von zwei großen Gewandspangen (Fibeln) zusammengehalten wurde und eine ausgeprägte Gürtelmode. Dazu kam aufwändig gestalteter Brustschmuck in Form von Ketten, Fibeln, Zierscheiben und Anhängern. Archäologen können diese Frauentracht über Originalfunde aus Gräbern sowie durch bildliche Darstellungen auf Grabsteinen sehr gut rekonstruieren. Im Raum Carnuntum ist auffällig, dass Belege für diese Frauentracht nicht so sehr aus dem engeren Stadtbereich, sondern sich vor allem im Hinterland der antiken Metropole wiederfinden. Insbesondere Damen aus der ortsansässigen Bevölkerung Nordwestpannoniens bedienten sich dieser Tracht, um ihren sozialen Status in einem ländlich-agrarischen Umfeld zu demonstrieren. Im Gegensatz dazu sind in den Städten der Nachbarprovinz Noricum in „norisch-pannonischer Tracht“ dargestellte Damen auf den Grabdenkmälern stärker präsent.
In den Grabfunden haben sich ausschließlich die nicht-textilen Elemente der Bekleidung erhalten. Das sind in erster Linie besondere Fibelformen (insbesondere sogenannte Flügel- und Doppelknopffibeln) sowie Bestandteile des Gürtels (Gürtelschnallen, Beschläge, Anhänger). Sämtliche Textilmaterialien sind vergangen, sodass für die verwendeten Werkstoffe und auch ihre farbliche Wirkung keine Aussage getroffen werden kann. Auf Grabporträts sind hingegen Damen mit einer turbanartig aufgebauten Kopfbedeckung (norisch-pannonische Haube) oder einer sogenannten Modiusmütze, wohl aus Filz bestehend, zu sehen.
Erschwerend für die Rekonstruktion der Frauentracht in den ersten nachchristlichen Jahrhunderten ist die damals ausgeübte Brandbestattung, bei der die Toten eingeäschert und ihre Überreste in Urnen oder einfachen Grabgruben beigesetzt wurden. Eine Ausnahme bildet das Gräberfeld Potzneusiedl (Burgenland), wo erstmals eine größere Anzahl von Skelettgräbern dieser Zeitstellung entdeckt wurde. Für den nordwestpannonischen Raum völlig ungewöhnlich bzw. bisher singulär sind mehrere Körpergräber des 1. Jahrhunderts n. Chr. mit norisch-pannonischen Trachtaccessoires. Die in den gefundenen Grabbeigaben verdeutlichen ferner wirtschaftliche und kulturelle Kontakte in den norddanubischen Raum sowie in den Süden nach Oberitalien.
(Bild 3 u. 4 s. Gräberfeld Potzneusiedl – Analyse einer Körpergrabgruppe früher Pannonier, L. Formato)
Weblinks:
• Dokumentation von norisch-pannonischen Trachtbestandteilen im Rahmen der Webplattform www.cfir.science
• Gräberfeld Potzneusiedl – Analyse einer Körpergrabgruppe früher Pannonier (L. Formato): https://www.oeaw.ac.at/antike/forschung/monumenta-antiqua/grenzraeume/die-norisch-pannonische-tracht/graeberfeld-potzneusiedl/